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Europawahlen 2024: Europa rückt nach rechts
DW – Rund 360 Millionen Menschen waren in den vergangenen Tagen EU-weit aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Nun zeigt sich: Die Kräfte verschieben sich nach rechts. Frankreich steht vor Neuwahlen.
Es ist die Überraschung des Wahlabends: Nach dem klaren Sieg der französischen rechtsextremen Partei Rassemblement National (RN) bei der Europawahl hat Präsident Emmanuel Macron die Nationalversammlung aufgelöst und vorgezogene Neuwahlen für den 30. Juni angesetzt. Bei der Europawahl hatte der RN mehr als 31 Prozent der Stimmen erhalten, das Regierungslager (Renaissance) hingegen weniger als 15 Prozent. Damit hat der RN seinen Stimmenanteil im Vergleich zu 2019 um fast zehn Prozentpunkte vergrößert.
Seit Donnerstag konnten Wählerinnen und Wähler in 27 EU-Staaten ihre Stimme abgeben – und damit ihrer Zufriedenheit oder ihrem Ärger über die Politik in der EU und ihrem Heimatland Luft machen. Rechtspopulisten konnten in mehreren Ländern deutliche Zuwächse verzeichnen. In Italien gewann Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mit ihrer Partei Fratelli d’Italia die Europawahl – mit rund 29 Prozent. Auch in Österreich war die Zustimmung für die rechtspopulistische FPÖ mit fast 26 Prozent recht hoch. Die Alternative für Deutschland (AfD) wurde in Deutschland mit fast 16 Prozent zweitstärkste Kraft hinter den konservativen Unionsparteien. Statt Klimathemen bestimmten diesmal Debatten über Migration, Wirtschaftspolitik oder Sicherheit den Wahlkampf.
Durchmarsch für Le Pen, Macron reagiert
Staatschef Macron richtete sich noch am Sonntagabend aus dem Elysée-Palast an die Bevölkerung: „Er könne nicht so tun, als sei nichts passiert“, so Macron, der den Aufstieg von Nationalisten als Gefahr für Frankreich und Europa wertete. „Ich habe Ihre Botschaft und Ihre Bedenken gehört und werde sie nicht unbeantwortet lassen“, sagte er an die Wähler gerichtet.
„Das ist natürlich besonders dramatisch, wenn man sieht, dass die Präsidentenpartei nur noch halb so gut abschneidet im Vergleich zum RN“, analysiert Politikwissenschaftlerin Gabriele Abels, die als Professorin an der Universität Tübingen forscht. „Es gab eine Reihe von Verunsicherungen, die dazu geführt haben, dass man mit Europathemen – was Macron zum Teil versucht hat – letztlich nicht durchdringen konnte.“ Zugleich sei die Strategie von Marine Le Pen, ihrer Partei einen gemäßigten Anstrich zu verpassen und zu „entteufeln“, erfolgreich gewesen. Der 28 Jahre alte EU-Spitzenkandidat und Parteichef Jordan Bardella habe zudem noch junge Wähler mobilisieren können. Auch für Henrik Suder vom Zentrum für Europäische Integrationsforschung an der Universität Bonn zeigt die Wahl, dass der RN eine „starke Wählerbasis“ hat und nicht nur aus Protestwählern besteht.
Regierungsparteien werden abgestraft
In Deutschland liegen die Unionsparteien CDU und CSU, die derzeit nicht der Bundesregierung angehören, mit 30,0 Prozent vorne und konnten ein leichtes Plus im Vergleich zur letzten EU-Wahl für sich verzeichnen. Die rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme AfD belegte mit 15,9 Prozent Platz zwei, obwohl die EU-Politiker der Partei zuletzt in mehrere Skandale verwickelt waren und die rechte ID-Fraktion alle AfD-Europaabgeordneten ausgeschlossen hatte.
Dennoch erhielt die AfD im Vergleich zu 2019 deutlich mehr Stimmen, nämlich fast fünf Prozentpunkte. Eine Wähler-Klatsche gab es für die sozialdemokratische SPD. Lediglich 13,9 Prozent der Wählerinnen und Wähler entschieden sich für die Partei von Bundeskanzler Olaf Scholz. Besonders abgestraft wurden die deutschen Grünen. Sie stürzte von gut 20 auf 11,9 Prozent ab. Die dritte Regierungspartei, die liberale FDP, konnte mit 5,2 Prozent ihr Ergebnis von 2019 immerhin fast halten.
Wie sortiert sich das neue EU-Parlament?
Europaweit zeichnet sich nun ein klarer Sieg des Mitte-Rechts-Bündnisses EVP mit der deutschen Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen ab. Die 65-Jährige kann demnach auf eine weitere Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission hoffen – doch entschieden ist noch nichts.
Beim Blick auf die Sitzverteilung im neuen Europaparlament haben Rechtsnationale (ID) und Rechtskonservative (EKR) Mandate gewonnen – und verzeichnen den stärksten Zugewinn. Die Fraktion der Sozialdemokraten S&D bildet das zweitstärkste Lager hinter der EVP. Die Grünen haben dagegen deutliche Einbußen erlitten. „Der erste Eindruck ist: Es ist so schlimm wie befürchtet, wenn man als Indikator nimmt, dass es zumindest auch in Deutschland, aber auch in paar anderen Ländern erheblichen Zuwachs von euroskeptischen und rechtspopulistischen Kräften gibt“, sagt Gabriele Abels.
Henrik Suder spricht von einer Polarisierung der Gesellschaft; von Menschen, die „Globalisierung als etwas Gutes wahrnehmen“ und letztendlich auch davon profitierten und Menschen, die dem nichts abgewinnen könnten. „Wenn der politische Diskurs so verschoben wird, dass er sich in Richtung rechtsradikaler Positionen verschiebt und auch Konservative diese Inhalte übernehmen, hilft dies nicht den Demokraten“, so der Politikwissenschaftler im DW-Gespräch. Am Beispiel Österreich zeige sich, dass die Wähler die FPÖ nunmehr als normale Partei wahrnehmen. „Gesellschaftlich hat eine Enthemmung stattgefunden. Menschen schämen sich nicht mehr dafür, rechtsradikale Positionen zu beziehen und Fremdenfeindlichkeit auszuleben.“
Die Frage wie mit den erstarkten Parteien am rechten Rand umzugehen ist, birgt Konfliktpotential. EU-Kommissionschefin von der Leyen hatte vor der Wahl eine Zusammenarbeit mit Teilen der rechten EKR-Fraktion nicht ausgeschlossen. Dafür wurde die Deutsche von Grünen, Sozialdemokraten, Linken und Liberalen scharf kritisiert.
Wahlbeteiligung ähnlich wie 2019
Die Wahlbeteiligung lag EU-weit ersten Schätzungen zufolge mit rund 51 Prozent etwa auf dem Niveau von 2019. Erstmals durften in Deutschland die 16- und 17-Jährigen wählen. Auch in Belgien, Österreich, Griechenland und Malta durften Jugendliche dieses Jahr an die Urnen. Das Europarlament hatte bislang 705 Abgeordnete und soll nun auf 720 Sitze anwachsen.
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