Das Europäische Zentrum für Terrorismusbekämpfung und Nachrichtdienst, Deutschland und Niederlande
DW – Schreckt der Erfolg der AfD ausländische Fachkräfte ab? Ben Knight
Deutschland braucht dringend qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland, um den Fachkräftemangel auszugleichen. Doch Rassismus und der Aufstieg der rechtspopulistischen AfD machen die Anwerbung schwierig.
Zwei große Herausforderungen treiben die deutsche Regierung derzeit um: das Erstarken der extremen Rechten und der langfristige Bevölkerungsrückgang. Beide haben miteinander zu tun.
Die erste Herausforderung drängt sich unmittelbar und aktuell auf. Die in Teilen rechtsextreme Alternative für Deutschland, die AfD, ist in mehreren Ländern im Osten Deutschlands mittlerweile die stärkste politische Kraft und erreicht mit ihrer populistischen Rhetorik immer mehr Wähler.
Die zweite Herausforderung ist eher praktischer als politischer Natur und nicht kurzfristig zu lösen, sie könnte Ökonomen zufolge aber den Wohlstand des Landes gefährden: Auf dem Arbeitsmarkt droht eine demografische Lücke. Viele Führungskräfte aus der Wirtschaft sind der Überzeugung, dass sich diese nur durch mehr Einwanderer schließen lässt.
Vor kurzem verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, das bürokratische Hürden reduzieren und die Einwanderung von Fachkräften erleichtern soll. Die politische Stimmung zugunsten der Migranten zu beeinflussen, ist jedoch deutlich schwieriger. Bundesfinanzminister Christian Lindner betrachtet die Lage mit Sorge: „Das größte Standortrisiko für Ostdeutschland ist die AfD“, sagte er Anfang der Woche auf einer Bürgerveranstaltung in Thüringen. „Eine Partei, die das Land abschotten will und ausländerfeindliche Klischees bedient, ist Sand im Getriebe der Wirtschaft.“
Nachrichten über Rechtsextreme schaffen es bis nach Indien
Dass Rassismus in Deutschland ein Problem ist, lässt sich kaum leugnen. Ein von der Regierung beauftragter Bericht zur Muslimfeindlichkeit stellte kürzlich fest, dass Rassismus, der sich gegen Muslime richtet, kein gesellschaftliches Randphänomen sei, sondern alltägliche Realität und „in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung verbreitet“.
Lassen sich potenzielle Einwanderer tatsächlich von solchen Nachrichten abschrecken? Es sei etwas Wahres an der Warnung des Finanzministers, meint Ulrich Kober, Direktor des Programms „Demokratie und Zusammenhalt“ der Bertelsmann-Stiftung. Doch ganz so einfach sei es nicht: „Aus der Forschung weiß man, dass Migrationsentscheidungen sehr komplex sind. Es gibt nicht nur einen Faktor, der eine Rolle spielt. Die Leute haben unterschiedliche Prioritäten.“
Kober weist darauf hin, dass Berichte über Islamfeindlichkeit und die Erfolge und Skandale der AfD es bis in ausländische Medien schaffen, darunter die „Times of India“. „Wenn Rechtsextreme in Deutschland auf dem Vormarsch sind, wenn rechtsextreme Politiker in Ämter gewählt werden, ist das ein Thema im Ausland“, erklärt Kober der DW. „Es wird aufmerksam verfolgt, was in Deutschland passiert.“
Shivam Mehrotra bestätigt diese Einschätzung. Der IT-Manager aus Indien hat in den vergangenen fünf Jahren für ein Unternehmen in Brandenburg gearbeitet, einem der Bundesländer, in denen die AfD gerade in den Meinungsumfragen oben steht. Er berät andere Einwanderer auf ihrem Weg durch die deutsche Bürokratie und weiß, dass Inder, die sich mit dem Gedanken tragen, ins Ausland zu gehen, solche Nachrichten verfolgen. „Wahrscheinlich ist es nicht ausschlaggebend für die Entscheidung, nach Deutschland zu kommen. Aber welche Richtung das Land einschlägt, ist schon eine Überlegung wert“, sagt er zur DW.
Mehrotra selbst berichtet, er habe in Deutschland nur wenig Rassismus erlebt. „Vielleicht hatte ich einfach Glück“, meint er. Doch die Zunahme des Rechtspopulismus beunruhigt ihn. „Das geht nicht spurlos an mir vorbei“, sagt der 33-Jährige. „Es ist überall auf der Welt verstörend, aber ganz besonders in Deutschland, das ich mittlerweile als mein Land betrachte. Ich möchte daran glauben, dass Deutschland Werte wie Gleichberechtigung und Vielfalt hochhält.“
Entscheidend für Fachkräfte: berufliche Chancen und Lebensqualität
Verschiedene Einrichtungen, von wirtschaftsfinanzierten Denkfabriken wie der Bertelsmann-Stiftung bis zu internationalen Institutionen wie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), untersuchen regelmäßig, welche Umstände ein Land für wen attraktiv machen. Zu den wichtigsten Faktoren zählen ihren Erkenntnissen zufolge das potenzielle Einkommen, die beruflichen Perspektiven und die Lebensqualität. In all diesen Bereichen ist Deutschland recht gut aufgestellt, sagt Kober. Doch natürlich konkurriert es mit anderen wohlhabenden Staaten, die ebenfalls nach Arbeitskräften suchen. Nationen wie die USA, Kanada, Australien und Großbritannien haben einen großen Vorteil, denn viele der potenziellen Arbeitskräfte sprechen bereits Englisch.
Für eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Umfrage fragte die OECD qualifizierte Arbeitskräfte auf der ganzen Welt, welche Hindernisse für sie dagegen sprachen, nach Deutschland zu kommen: Rund 38 Prozent nannten fehlende Deutschkenntnisse, während etwa 18 Prozent Bedenken in Hinsicht auf Diskriminierung und Rassismus äußerten. „Das spielt eine Rolle, aber man muss das einordnen und sehen, was die zentralen Beweggründe sind. Ich vermute, das liegt auch daran, dass natürlich alle wissen, dass es keine Gesellschaften gibt, die frei von Rassismus sind“, kommentiert Kober.
„Es gibt andere Länder, die klassischen angelsächsischen Einwanderungsländer, die eine andere Kultur der Offenheit entwickelt haben“, führt der Forscher aus. „Da fehlt es in Deutschland noch. Natürlich stehen die AfD und das Mindset, das verantwortlich dafür ist, dass Menschen AfD wählen, nicht unbedingt für diese Kultur der Offenheit.“
Für Shivam Mehrotra und seine Frau gaben zwei Überlegungen den Ausschlag für Deutschland: „Das eine war die Art und Weise, wie Deutschland in humanitärer und wirtschaftlicher Hinsicht mit Corona umging. Das war fantastisch. Und das zweite, was uns wirklich bewegte, war die ethische Seite dieses Landes. Der Staat, aus dem ich komme, war eine britische Kolonie und in Großbritannien glauben Menschen unserer Generation noch immer, dass die Kolonialzeit eine gute Sache war. In Deutschland hingegen lernen die Kinder in der Schule über die Nazi-Vergangenheit„, fügt Mehrotra hinzu. „Seine Vergangenheit wirklich zu akzeptieren, das ist ethisch. Für mich hat das wirklich eine Verbundenheit mit Deutschland geschaffen.“
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