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Warum zögert Kanzler Olaf Scholz bei Kampfpanzern?
DW – Der Druck auf Deutschland, Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern, wächst. Kanzler Scholz will sich (noch) nicht festlegen. Das hat auch mit seiner Partei, der SPD zu tun.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lässt sich nicht beirren. Wenn es um die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine geht, verweist er stets darauf, dass die Bundesregierung drei Prinzipien habe: Es gehe darum, die Ukraine so stark wie möglich zu unterstützen, einen direkten Konflikt zwischen der NATO und Russland zu verhindern und nationale Alleingänge zu vermeiden.
Entscheidungen würden ausschließlich „eng abgestimmt und koordiniert mit unseren Freunden und Verbündeten“ fallen, sagte Scholz erneut vor ein paar Tagen in Berlin. „Es wird also nicht dazu kommen, dass in Deutschland aufgeregte Stellungnahmen, schnelle Äußerungen oder die Notwendigkeit, alle zehn Minuten etwas sagen zu müssen, dazu führen, dass wir über so ernste Dinge, die mit Krieg und Frieden und mit der Sicherheit unseres Landes sowie der Sicherheit Europas zusammenhängen, einfach mal so etwas aus der Hand schütteln.“
Olaf Scholz erklärt sich nicht gerne und er gilt als stur, wenn er einen Weg eingeschlagen hat. Regierungssprecher Steffen Hebestreit erklärt seinen Chef gegenüber Journalisten so: „Ich denke, die meisten von Ihnen kennen den Bundeskanzler und wissen, dass er Druck gewohnt ist und sich auch nirgendwohin drängen lässt, wohin er nicht will, sondern dass er all das genau wägt und aushält. Sie wissen aus freudiger oder leidvoller Erfahrung, dass er sich seine Zeit nimmt, bevor er Dinge sagt, unabhängig von der Frage, ob Sie sie gern früher oder später hören würden.“ Die Bundesregierung schließe nicht aus, dass sie Leopard-Panzer liefert. „Sie hat nur nicht entschieden, ob sie das jetzt tut.“
Deutschland soll führen
Parallel zur Diskussion über Kampfpanzer wurde in Berlin jetzt ein Papier der SPD vorgestellt, in dem eine stärkere Führungsrolle Deutschlands in der Welt gefordert wird. „Zeitenwende für unsere Außenpolitik – Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“, so sind die 23 Seiten überschrieben, die der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil in Berlin erläuterte.
Ausgehend vom 24. Februar 2022, dem Tag an dem Russland die Ukraine überfiel und der Feststellung des Kanzlers, das sei eine Zeitenwende, stellt Klingbeil die Frage: „Was bedeutet die Zeitenwende aus sozialdemokratischer Sicht? Wie definiert sich unser Verhältnis zu Russland, zu China, zu den USA? Wie definiert sich ein selbstbewusstes und souveränes Europa neu und was ist eigentlich Deutschlands Rolle in dieser sich rasant ändernden Welt?“
Führung hat nichts mit Panzern zu tun
Schon im vergangenen Sommer hat der SPD-Co-Chef die Forderung nach einer „starken Führungsrolle“ Deutschlands in den Raum gestellt. Es gebe eine große Erwartung an Deutschland, die Verantwortung sei stetig gewachsen und dem müsse man gerecht werden. „Wir sagen in diesem Papier sehr klar, dass es an der Zeit ist, eine jahrzehntelange Zurückhaltung, die es manchmal gegeben hat, ein Stück weit aufzugeben, dass wir stärker Führung übernehmen.“
Da mache er auch als Parteivorsitzender Druck, sagt Klingbeil. Wer aber denkt, dass Führung mit der Lieferung von Kampfpanzern gleichzusetzen ist, der wird enttäuscht. „Was ich nicht zulasse, ist, dass man sagt, wir machen das jetzt an der Frage einer Waffe, also eines Waffenmaterials, fest.“
Führen will gelernt sein
Waffen in Kriegsgebiete zu liefern, das ist für Deutschland ohnehin noch neu. Es habe über Jahrzehnte ein „spezifisch deutsches Verständnis, was wir gerne beitragen“ gegeben und das sei „meistens sehr weit von Waffen entfernt“ gewesen, gibt die Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff zu bedenken. Das sei aber etwas gewesen, von dem man geglaubt habe, „dass das als deutsche Verantwortung genauso auch gewünscht“ wurde. Deutschland habe „eher in der Mitte oder vom Ende her“ geführt, sich also stets „irgendwie irgendwo eingereiht“. Es werde noch sehr lange dauern, bis Deutschland Führung „in operative Politik und in strategische Planung“ umgesetzt habe, meinte Deitelhoff in der Talkshow Anne Will des ARD-Fernsehens.
„Keiner will, dass wir irgendwie als Gorilla auftreten“, sagte in derselben TV-Sendung Sönke Neitzel, Militärhistoriker und Professor für Militärgeschichte. „Aber Deutschland hat schon eine Verantwortung und ich glaube, wir können da mehr machen. Wir können möglichst im Hintergrund mehr abstimmen und wir sind halt einfach größer als die Niederlande oder als Dänemark und da haben wir eine Verantwortung.“
Im Schatten der USA
Wenn es um Scholz und sein zögerliches Verhalten bei Waffenlieferungen in die Ukraine geht, wird ihm auch vorgeworfen, sich hinter den Amerikanern zu verstecken. Lars Klingbeil kontert diesen Vorwurf mit dem Hinweis auf die eingeschränkten deutschen Möglichkeiten. „Wir sind ja noch lange nicht in der Situation, dass wir ohne die Amerikaner könnten. Ich meine, das ist doch eine Illusion“, sagte er am Wochenende im deutschen Fernsehen.
Das hängt sehr mit dem Zustand der Bundeswehr zusammen. Militärexperten warnen davor, zu viel Gerät und Munition abzugeben. Die Wehrbeauftragte im Bundestag, Eva Högl (SPD) ist zwar überzeugt, dass Leopard-2-Panzer der Ukraine „sicher entscheidend helfen“ würden. Man müsse aber abwägen, ob die Bundeswehr sie überhaupt entbehren könne. „Für die Bundeswehr bedeutet das einen Kraftakt, weil sie selbst nicht genug Material hat, um für ihre Einsätze gewappnet zu sein, weder bei der Bündnisverteidigung noch im internationalen Krisenmanagement.“
Führen im Verbund
Der zurückhaltende Kurs von Olaf Scholz wird in der SPD breit unterstützt. Die SPD stehe hinter dem Kanzler und seiner Linie, betont Lars Klingbeil immer wieder. Es gebe „volle Rückendeckung“, sagte er bei der Vorstellung des außen- und sicherheitspolitischen Papiers in Berlin.
Führung zu übernehmen, wird in dem SPD-Papier nicht als Alleingang definiert. „Führung heißt nicht, sich über andere hinwegzusetzen. Es bedeutet für uns einen kooperativen Führungsstil.“
Kanzleramt und SPD-Zentrale führen zusammen
Was Klingbeil sagt, gilt nicht nur für internationale politische Absprachen. Auch das Kanzleramt und die SPD-Zentrale führen kooperativ. Olaf Scholz fällt keine Entscheidung, ohne dass die SPD eingebunden wäre. Er stimmt sich laufend mit der Parteispitze, also mit Lars Klingbeil und der Co-Vorsitzenden Saskia Esken ab.
Ein mächtiger Faktor ist auch die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, die von Rolf Mützenich geleitet wird. Während Esken und Mützenich eher dem linken Parteiflügel zuzuordnen sind, gehören Klingbeil und Scholz dem rechten Lager an. Rechts im Sinne von undogmatisch, realistisch und pragmatisch.
Abkehr von Russland
Der linke Flügel ist in der SPD immer schon sehr einflussreich gewesen. Es sind jene Kräfte bei den Sozialdemokraten, die traditionell Friedenspolitiker waren und sind. Gute Beziehungen zu Russland waren für sie bis zum 24. Februar 2022 selbstverständlich und eine Friedensordnung in Europa ohne Russland unvorstellbar.
Wandel durch Annäherung“ und später „Wandel durch Handel“ waren die Leitsätze. Man ging davon aus, dass man Russland durch gute Beziehungen einbinden und sogar beeinflussen und verändern könnte. Ein Fehler, wie Lars Klingbeil nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine als einer der ersten Sozialdemokraten einräumte.
Diplomatie statt Waffen
Die Verfechter einer anti-militaristischen und auf Friedensinitiativen ausgerichteten politischen Linie sind in der SPD dennoch nach wie vor stark. In die SPD-Fraktion sind nach der letzten Bundestagswahl viele Jungsozialisten eingezogen, die Rolf Mützenich den Rücken stärken.
Das weiß Scholz und das weiß auch Klingbeil, der zwar einen neuen Kurs einschlagen will, dafür aber viel Überzeugungsarbeit leisten muss. Das kostet Zeit. Nicht ohne Grund soll über die neue Strategie zur Außen- und Sicherheitspolitik erst Ende des Jahres auf einem SPD-Parteitag abgestimmt werden.
Scholz muss Rücksicht auf die Partei nehmen
Bei Olaf Scholz kommt noch etwas anders dazu. 2019 wollte er SPD-Vorsitzender werden, unterlag aber in einer Abstimmung der Parteimitglieder. Scholz ist sozialdemokratisches Urgestein und kennt seine Partei genau. Er ist seit Jahrzehnten in der Politik und hat schon viele Flügelkämpfe in der Partei miterlebt. Der Sturz von Vorsitzenden, von Parteigrößen, das war in der SPD über Jahrzehnte üblich. Stets ging es darum, dass die Führung etwas anderes wollte als der linke Flügel und die eher links orientierte Basis.
Olaf Scholz gehörte nie zu den beliebten Funktionsträgern, fuhr in Abstimmungen zu Parteiämtern stets schlechte Ergebnisse ein. Durch seine Erfolge als Regierungschef in Hamburg und den Sieg bei der Bundestagswahl hat er sich Respekt verschafft. Das heißt aber nicht, dass er eine politische Linie vertreten und durchsetzen kann, die der Partei gegen den Strich geht.
Wo stehen die Bürger?
Scholz hat zudem seine Wähler im Blick. „Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger unterstützt die besonnene, gut abgewogene und sorgfältig Entscheidungen vorbereitende Haltung der Bundesregierung“, sagte er. „Ich weiß, dass die von mir geführte Bundesregierung eine Unterstützung der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger für ihr Vorgehen hat.“
Ist das so? Das Meinungsforschungsinstitut infratest-dimap fragt im ARD-Deutschlandtrend laufend ab, wie die Bürger Waffenlieferungen in die Ukraine beurteilen. Befragt zur Lieferung von Kampfpanzern sind aktuell 46 Prozent dafür und 43 Prozent dagegen. Bei den Anhängern von CDU und CSU stimmen 66 Prozent dafür, 29 Prozent dagegen. Eine Mehrheit findet sich auch bei den Anhängern der Grünen mit 61:21 Prozent. Bei den Anhängern der Sozialdemokraten lautet das Ergebnis aber 49:40 und bei der FDP 48:48 Prozent. Es sind also vor allem die eigenen Wähler, die Scholz im Blick hat.
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