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Deutsche Außenpolitik am Pranger – Ukraine-Krieg

Apr 8, 2022 | Studien & Berichte | 0 comments

Das Europäische Zentrum für Terrorismusbekämpfung und nachrichtendienstliche Studien „ECCI“ – Deutschland und die Niederlande

DW– Ukraine-Krieg: Deutsche Außenpolitik am Pranger

Kritiker sehen im russischen Überfall auf die Ukraine den Beweis, dass eine Politik des Wandels durch Handel ein großer Irrweg war. Dafür steht vor allem Angela Merkel, aber im Grunde eine ganze Politikergeneration.

Es sind Bilder von einem Blutbad an Zivilisten in Butscha, einem Vorort von Kiew. Die ukrainische Regierung macht russische Soldaten dafür verantwortlich. Aber der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erhebt auch schwere Vorwürfe gegen die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er lade sie ein, sich in Butscha ein Bild davon zu machen, „wozu die Politik der Zugeständnisse an Russland in 14 Jahren geführt hat“, sagte Selenskyj.

Vor 14 Jahren, bei einem NATO-Gipfel in Bukarest, sorgten vor allem Merkel und der damalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy dafür, dass die Ukraine keine Einladung in die NATO bekam, um Russland nicht zu provozieren. Das nennt Selenskyj heute eine „Fehlkalkulation“, derentwegen die Ukraine jetzt „den schlimmsten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg“ erlebe

Nord Stream 2 wurde nach Krim-Annexion genehmigt

Die Regierung Merkel schloss auch nach der russischen Annexion der Krim 2014 Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Und sie genehmigte kurz danach die Ostsee-Erdgasleitung Nord Stream 2, mit der die Ukraine als Gas-Transitland umgangen wurde. „Wie anders als stillschweigende Akzeptanz einer gewaltsamen Grenzverschiebung sollte das Moskau verstehen?“, fragt Henning Hoff von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Auch der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat sich direkt an Merkel gewandt: „Frau Bundeskanzlerin, Sie schweigen seit Beginn des Krieges. Dabei hat gerade die Politik Deutschlands während der vergangenen zehn, fünfzehn Jahre dazu geführt, dass Russland heute eine Stärke hat, die auf dem Monopol des Verkaufs von Rohstoffen basiert.“ Und unter Bundeskanzler Olaf Scholz blockiere Deutschland entschiedenere EU-Sanktionen, so Morawiecki.

Nicht nur Merkel und Scholz stehen derzeit unter Beschuss. Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Berlin, warf dem Bundespräsidenten und früheren Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Sonntag im „Tagesspiegel“ vor, für ihn sei „das Verhältnis zu Russland etwas Fundamentales, ja Heiliges, egal was geschieht, auch der Angriffskrieg spielt da keine große Rolle“. Wohl noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ist ein ausländischer Botschafter ein deutsches Staatsoberhaupt derart hart angegangen.

Berliner Außenpolitik war „großer Selbstbetrug“

Die Kritik trifft nicht nur einzelne Personen, sondern die gesamte deutsche Außen-, Sicherheits- und Handelspolitik der vergangenen rund 30 Jahre. „Viel zu viel Dialog und viel zu wenig Härte gegenüber dem Kreml“, so fasste es Melnyk kürzlich zusammen.

Die Einschätzung bestätigt der Politikwissenschaftler Stephan Bierling von der Universität Regensburg gegenüber der DW: „Alle Bundesregierungen seit Putins Amtsantritt haben signalisiert, dass ihnen problemfreie Beziehungen mit Moskau wichtiger sind als das Schicksal der Ukraine. Das hat den Kreml zu seinem Angriff ermuntert.“

Bierling hatte bereits am 24. März in der Zeitschrift „Cicero“ die gesamte deutsche Außenpolitik der vergangenen Jahre als „großen Selbstbetrug“ verurteilt. Unter dem militärischen Schutzschirm der USA habe sich Deutschland „pazifistischen Illusionen hingegeben“ und sich auf seine Geschäfte konzentriert.

Naiv gegenüber Peking

Auch in der Chinapolitik sieht Bierling dieses Muster: „Anbiedern für ökonomische Vorteile, naive Ideen, ein Imperium von außen liberalisieren zu können, demokratische Ideale wie Menschenrechte und Meinungsfreiheit kompromittieren, um die Machthaber nicht zu verärgern.“

Zwar haben eine Reihe von europäischen Regierungen und auch Washington die deutsche Russland- und auch Chinapolitik seit Jahren kritisiert. Das perlte aber an Berlin ab – bis die russische Armee am 24. Februar die Ukraine überfiel.

Steinmeier räumt Fehler ein

Bundeskanzler Scholz hat bei Kriegsbeginn von einer „Zeitenwende“ gesprochen. Meint er auch eine grundsätzliche Wende in der deutschen Außenpolitik?

Bundespräsident Steinmeier – auch das ein Novum – räumte in dieser Woche nach Melnyks Vorwürfen öffentlich „Fehleinschätzungen“ ein, etwa in der Frage von Nord Stream 2, die Deutschland viel Glaubwürdigkeit gekostet habe. Man habe aber bei Putins Amtsantritt nicht wissen können, wie er sich entwickeln würde. Henning Hoff widerspricht hier: Spätestens seit dem Tschetschenienkrieg ab 1999 sei der „verbrecherische, hypernationalistische“ Charakter des Putin-Regimes erkennbar gewesen.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ist einer der wenigen deutschen Politiker, die die traditionelle Politik des Wandels durch Handel auch jetzt verteidigen. Sie habe Frieden sichern und gemeinsamen Wohlstand schaffen sollen, doch das habe Putin zerstört. „Aber zur damaligen Zeit waren diese Entscheidungen deswegen nicht grundfalsch“, so Dobrindt.

Merkel bleibt dabei: Ukraine soll kein NATO-Mitglied werden

Von Angela Merkel, die sich außer einer Stellungnahme unmittelbar nach dem russischen Überfall noch gar nicht geäußert hat, ist nur bekannt, dass sie die Entscheidung von 2008 nicht bereut, einen NATO-Beitritt der Ukraine blockiert zu haben. Sie „steht zu ihren Entscheidungen im Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest“, teilte eine Sprecherin Merkels mit.

Ihre Position ist allerdings auch heute Konsens in der NATO selbst: Die Mehrheit im Bündnis ist heilfroh, der Ukraine zu keinem militärischen Beistand verpflichtet zu sein, weil sie nicht in einen Krieg mit Russland hineingezogen werden will.

Das sieht auch Merkels Nachfolger Olaf Scholz so. Was allerdings noch vor wenigen Wochen undenkbar gewesen wäre: Heute will eine Bundesregierung mit einem SPD-Kanzler und einem grünen Vizekanzler die Bundeswehr massiv aufrüsten und liefert Waffen in das Kriegsgebiet Ukraine, „ein Bruch mit langen Traditionen“, wie Scholz am Mittwoch zugab.

Bundeswehr ist „Lachnummer“

Was raten die beiden Außenpolitikexperten der Bundesregierung? Die Bundeswehr „auf Vordermann bringen“, die bei Freund und Feind „als Lachnummer wahrgenommen“ werde, rät Stephan Bierling.

Nach wie vor ist deutsche Vermittlung gefragt

Es ist inmitten der heftigen Kritik am bisherigen Kurs keineswegs so, dass deutsche Diplomatie und Vermittlung nicht mehr gefragt wären. Der ukrainische Botschafter Melnyk fordert zwar deutsche Waffen, er hat den Bundeskanzler aber auch zu einer aktiveren Vermittlung im Russland-Ukraine-Konflikt aufgerufen. „Wir brauchen gerade heute die persönliche Führung von Olaf Scholz“ für Verhandlungen mit Putin, sagte Melynk in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. „Das wäre ein Lackmustest für die neue deutsche Außenpolitik.“

Melnyk spricht sich dabei auch für das Normandie-Format, also Treffen Frankreichs, Deutschlands, Russlands und der Ukraine aus, das maßgeblich von Merkel stammt. Ein Zeichen, dass diese Form nicht ausgedient hat: „Wir rufen Bundeskanzler Scholz auf, schnellstmöglich den Berliner Normandie-Gipfel einzuberufen.“ Allerdings reicht Melnyk die bisherige Zusammensetzung nicht, und darin mag dann doch ein gewisses Misstrauen gegenüber Berlin stecken: „Klar ist auch, dass wir die Amerikaner mit im Boot brauchen, um mit Putin mit einer Stimme und aus einer Position der Stärke zu verhandeln.“

Das Europäische Zentrum für Terrorismusbekämpfung und nachrichtendienstliche Studien „ECCI“ – Deutschland und die Niederlande

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