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Kommentar: Machtpoker um IS- Heimkehrer

Dez 28, 2019 | Studien & Berichte | 0 comments

Die Türkei macht ernst mit der Rückführung von IS-Anhängern – auch nach Deutschland. Ein
legitimes Ansinnen. Aber Erdogan missbraucht die IS-Kämpfer als Drohkulisse gegen EU-
Sanktionen, meint Matthias von Hein.
Das „Kalifat“ des sogenannten „Islamischen Staates“ ist zerschlagen, sein Führer Bagdadi seit
zwei Wochen tot. Aber die Ideologie des Hasses lebt weiter. Und ist weiter gefährlich. Das
zeigte sich erst jetzt wieder in Hessen: Dort wurden drei mutmaßliche Attentäter
festgenommen, die mitten in den Vorbereitungen für Anschläge standen, die sie im Namen
des IS begehen wollten.
Die begründete Sorge vor dem IS missbraucht nun der türkische Präsident Recep Tayyip
Erdogan. Angesichts geplanter EU-Sanktionen wegen türkischer Gasbohrungen vor Zypern
droht Erdogan offen damit, IS-Terroristen über die Grenze zu schicken.
Deutschland wirkt erstaunlich unvorbereitet
Tatsächlich hat die Türkei schon mit Abschiebungen aus türkischen Gefängnissen begonnen.
Auch nach Deutschland. Weitere Abschiebungen nach Deutschland sind für Donnerstag und
Freitag dieser Woche geplant.
Schon vor zehn Tagen hatte der türkische Innenminister Süleiman Soylu erklärt, die Türkei
sei „kein Hotel für Terroristen“. Jetzt folgen seinen Drohungen Taten – und Deutschland
wirkt erstaunlich unvorbereitet. Dabei war seit dem Fall der letzten IS-Bastion im März klar:
Die damals über 2000 gefangenen ausländischen Kämpfer, ihre mehr als 10.000 Frauen und
Kinder würden nicht ewig in den kurdischen Lagern und Gefängnissen bleiben können.
Es hat nicht an Hilferufen der überforderten kurdischen Selbstverwaltung an die
Herkunftsländer der IS-Mitglieder gefehlt, doch endlich ihre Staatsbürger zurückzuholen.
Aber passiert ist wenig bis nichts. Auch die Aufforderung von US-Präsident Donald Trump
hat keine Bewegung n der Sache gebracht. Eher noch haben sich die Herkunftsländer beeilt,
ihren IS-Anhängern die Staatsbürgerschaft zu entziehen und sich so ihrer Verantwortung zu
entziehen. Auch die deutsche Politik hat sich hinter Formalien versteckt: Weil es keine
offiziellen Beziehungen zu den Kurden in Nordsyrien gebe und auch keine zu Damaskus,
könne man leider nichts für die Rückführung der gefangenen IS-Anhänger tun, hieß es aus
dem Außenministerium. Lediglich eine Handvoll Kinder wurden auf gerichtlichen Beschluss
hin ausgeflogen.
Bereits jetzt hunderte IS-Rückkehrer in Deutschland
Dabei steht fest: Die gefangenen IS-Anhänger haben sich in Deutschland radikalisiert. Und
damit hat Deutschland eine Verantwortung für diese Leute und muss sie hier vor Gericht
stellen für ihre Verbrechen. Die Kinder – es sind über 100 – tragen keine Verantwortung für
die Verbrechen ihrer Eltern. Sie müssen intensiv betreut, eventuell deradikalisiert werden. All
das ist schwierig. Unmöglich ist es nicht.

Zudem: In Deutschland leben bereits hunderte IS-Rückkehrer: Jene, die vor dem
Zusammenbruch des IS heimlich still und leise wieder nach Deutschland zurückgereist sind.
Etliche wurden verhaftet, einigen der Prozess gemacht, viele werden von den
Sicherheitsbehörden beobachtet. Eine Katastrophe ist nicht eingetreten. Kurzum: Eine
geordnete Rückführung unter den Augen der Sicherheitsbehörden ist allemal besser, als die
Dinge einfach laufen zu lassen. Die heimliche Hoffnung, das Problem dieser Menschen, die
niemand will, erledige sich durch Wegsehen von selbst, hat die Türkei gerade zunichte
gemacht.
Die Türkei war lange ein „Hotel für Terroristen“
Das Ansinnen der Türkei ist im Grunde legitim. Auch Deutschland erwartet von anderen
Staaten die Rücknahme ihrer hier straffällig gewordenen Landsleute. Das Vorgehen Ankaras
aber ist von Doppelmoral geprägt. Wenn sich die Türkei über die Lasten beschwert, die mit
der Versorgung der gefangenen IS-Anhänger verbunden ist, möchte man entgegnen: Dann
lasst doch erst mal die Oppositionellen frei, welche immer noch zu Tausenden die türkische
Gefängnisse füllen!
Und wenn Soylu sagt, die Türkei sei kein Hotel für Terroristen, dann muss man entgegen: Sie
ist es lange gewesen. Der IS und andere Dschihadisten konnten lange Jahre ungehindert in
der Türkei operieren, ihren Nachschub über die Türkei organisieren. Auch bei der zynisch
„Operation Friedensquell“ genannten Offensive fand Ankara nichts dabei, bei ihrer Invasion
dschihadistische Milizen als Fußtruppen gegen die Kurden einzusetzen.
DW

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