Die Türkei schiebt weitere IS-Anhänger nach Deutschland ab. Wandern sie direkt ins
Gefängnis? Die Angst vor ihnen ist groß, doch die Rechtslage kompliziert. Die wichtigsten
Fragen und Antworten.
Sie gelten dem türkischen Staat als "ausländische Terroristenkämpfer". Mutmaßliche IS-Anhänger
aus Deutschland, die in türkischer Haft sitzen. Manche von ihnen sind bereits wegen Straftaten
verurteilt worden, etwa der Berliner Benjamin Xu, der für den Mord an zwei türkischen Polizisten
verantwortlich gemacht wird. Über andere Inhaftierte ist wenig bekannt. Auch nicht, wie eng ihre
Verbindungen zur Terrormiliz IS wirklich waren. Klar ist aber: die Türkei schickt mutmaßliche IS-
Anhänger zurück nach Deutschland. Deutschland ist verpflichtet, sie aufzunehmen, wenn es sich um
deutsche Staatsbürger handelt.
Am Donnerstag machten die türkischen Behörden mit der deutsch-irakischen Großfamilie B.
den Anfang. Das Ehepaar und ihre fünf Kinder landeten mit einer Linienmaschine der
Turkish Airlines auf dem Flughafen Berlin Tegel, wo sie von der Polizei in Empfang
genommen wurden. Die Familie aus Hildesheim im Bundesland Niedersachsen war vor
knapp einem Jahr in die Türkei gereist. Der Familienvater sitzt mittlerweile in
Untersuchungshaft – allerdings nicht wegen Unterstützung des IS, sondern weil er
Asylsuchende um Geld betrogen haben soll.
Was wird den Abgeschobenen vorgeworfen?
Die deutschen Sicherheitsbehörden rechnen die Familie aus Hildesheim dem "salafistischen
Spektrum" zu, also dem ultra-konservativen Islam. Ob sie auch den sogenannten Islamischen
Staat unterstützt haben, kann das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen "nicht mit
abschließender Sicherheit" sagen. Über eine Weiterreise der Familie aus der Türkei nach
Syrien ist nichts bekannt.
Am Freitag folgten zwei Ehefrauen von IS-Kämpfern, die aus der Türkei nach Deutschland
abgeschoben werden. Sie waren nach Beginn der türkischen Angriffe aus dem von Kurden
bewachten Gefangenenlager Ain Issa in Nordsyrien geflohen und in türkische Haft geraten.
Doch auch in ihrem Fall liegen bislang keine Haftbefehle vor, etwa wegen Mitgliedschaft
oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Sie werden sich in
Deutschland also zunächst frei bewegen können. Auch was weitere mutmaßliche IS-
Anhänger mit deutschem Pass in der Türkei angeht, scheint die Beweislage momentan noch
dünn zu sein.
Haben deutsche Strafverfolger nichts gegen "IS-Rückkehrer" in der Hand?
"Ein Rechtsstaat muss Beweismittel haben", sagt der Anwalt Mahmut Erdem im Gespräch
mit der DW. "Und als Jurist weiß ich, dass das schwierig ist." Erdem vertritt mehrere
Familien, deren Angehörige zum IS ausgereist sind. Er setzt sich dafür ein, dass deutsche IS-
Anhänger aus Lagern in Syrien oder der Haft in der Türkei nach Deutschland zurückkehren.
"Auch, wenn sie Blut an den Händen haben."
Kritiker befürchten dagegen, dass solche Rückkehrer in Deutschland straffrei ausgehen. Denn
in Syrien wird nach wie vor gekämpft und Deutschland unterhält keine Beziehungen zu
syrischen Behörden, die bei der Aufklärung helfen könnten.
Es sei "nicht einfach, aber auch nicht unmöglich", IS-Rückkehrern Straftaten nachzuweisen,
sagt Erdem. "Wir müssen die Opfer dieser Taten nach Deutschland vor ein ordentliches
Gericht als Zeugen bestellen können. Warum werden zum Beispiel nicht jesidische Frauen
als Zeugen vernommen?" Auch kurdische Gruppen hätten den deutschen Behörden die
Zusammenarbeit angeboten.
Wer landet vor Gericht?
Insgesamt sollen derzeit noch 95 deutsche IS- Anhänger in der Türkei, Syrien oder dem Irak
in Haft sein. Gegen 33 von ihnen laufen bereits Verfahren in Deutschland, die eine
Verurteilung zum Ziel haben. Gegen 26 von ihnen liegt nach dpa-Informationen bereits ein
deutscher Haftbefehl vor.
Ein Haftbefehl wird nur erlassen, wenn die Generalstaatsanwaltschaft einen dringenden
Tatverdacht begründen kann und Fluchtgefahr besteht. "Den kann man direkt am Flughafen
vollstrecken", sagt Anwalt Erdem. "Eine Mandantin von mir, die gerade in Düsseldorf
verurteilt wird, ist bei ihrer Landung in Stuttgart direkt mit Handschellen im Empfang
genommen worden", sagt Erdem. Dutzende IS-Anhänger, die aus eigenem Antrieb nach
Deutschland zurückgereist sind, landeten wie Erdems Mandantin anschließend vor Gericht.
Werden die Abgeschobenen vom Staat überwacht?
Ja, schließlich wollen die Behörden Beweise sammeln und verhindern, dass IS-Rückkehrer
hier etwa Terroranschläge vorbereiten. Auch die in dieser Woche aus der Türkei
Abgeschobenen werden von der Polizei überwacht, sofern Ermittlungsverfahren eingeleitet
werden. "Es ist nach Länderpolizeirecht möglich, potenzielle Straftäter oder Gefährder zu
beobachten, zu untersuchen oder auch bestimmte Maßnahmen zu ergreifen", sagt Anwalt
Erdem. Zu diesen Maßnahmen kann etwa das Verbot der Ausreise oder sogar der Entzug des
Passes gehören, um eine Flucht zu erschweren. Auch Durchsuchungen sind nach
richterlichem Beschluss möglich. Die Rückkehrer dürften wohl auch von
Sicherheitsbehörden zu ihrem Verhältnis zum IS befragt werden.
Diese Abgeschobenen würden im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum von Bund und
Ländern eingeordnet und einer Sicherheitsbewertung unterzogen, sagte Bundeskanzlerin
Angela Merkel am Freitag in Berlin. "Dementsprechend wird dann natürlich sichergestellt,
dass von diesen Personen keine Gefahr ausgeht." Falls doch, dann "wird der normale
Mechanismus angewandt", so Merkel. Manche Politiker lehnen eine Rückreise deutscher IS-
Anhänger jedoch ab. Sie befürchten, dass Polizei und Gerichte mit Überwachung und
Prozessen überfordert sein könnten. Auch die Bundesregierung hat sich bislang nicht für eine
Rückkehr deutscher IS-Anhänger eingesetzt – mit Ausnahme einiger Kinder mutmaßlicher
IS-Kämpfer, die im Sommer diesen Jahres nach Deutschland gebracht wurden.
Kann den Rückkehrern die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden?
Nein. Der Bundestag hat zwar in diesem Jahr ein Gesetz verabschiedet, wonach Kämpfern
von Terrormilizen der deutsche Pass entzogen werden kann, wenn sie die Staatsbürgerschaft
eines weiteren Landes besitzen. Dies gilt jedoch nicht rückwirkend für IS-Kämpfer, die
früher ausgereist waren.
Bei den Abschiebungen aus der Türkei dürfte es sich um Personen handeln, die vor
Verabschiedung des Gesetzes im Kampfgebiet waren. Im Moment sind 14 deutsche
Staatsangehörige, darunter acht Frauen und sechs Männer mit mutmaßlichen IS-
Verbindungen in der Türkei in Haft. Insgesamt sollen in den vergangenen Jahren mehr als
1000 Deutsche in die Kampfgebiete in Syrien und im Irak gereist sein.
Wie können IS-Rückkehrer deradikalisiert werden?
"Da brauchen sie Unterstützung", sagt Thomas Mücke. Er hat als Gründer und
Geschäftsführer des "Violence Prevention Network" mit Gewalttätern gearbeitet. "Wir haben
Erfahrungen gemacht mit 36 IS-Rückkehrern." Einige von ihnen seien mittlerweile wieder
voll in der gesellschaftlichen Mitte angekommen, mit Ausbildungsplatz oder Arbeit und ohne
Kontakt zur extremistischen Szene. "Bei jungen Menschen können wir noch sehr viel
bewirken", so Mücke.
"Ganz besonders war sicherlich der Fall eines 17-Jährigen, der schon für ein
Selbstmordkommando eingeteilt worden war und dessen Leben am seidenen Faden hing.
Heute führt er mit 24 Jahren ein ganz normales Leben in Deutschland."
Menschen, die wegen ihres Aufenthalts im Kampfgebiet verurteilt werden, werden von
Mücke und seinen Mitstreitern bereits im Gefängnis besucht. "Wir bauen den Kontakt auf.
Wir versuchen, die ersten Zweifel zu säen. Wir schauen, dass sie zum extremistischen Milieu
Abstand halten. Es geht ja darum, dass Menschen wieder lernen, eigenständige Gedanken zu
entwickeln."
Es wäre besser gewesen, Deutschland hätte sich für die Rückkehr von IS-Anhängern
eingesetzt, meint Mücke. "Das wäre etwas geordneter, als das jetzt der Fall ist." Und gerade
bei Kindern und Jugendlichen gelte: Je länger sie in Lagern und Gefängnissen von
Extremisten umgeben seien, desto schwieriger werde die Deradikalisierung.
DW