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Wohin die Milliarden für die Bundeswehr fließen
DW – Noch ist die neue Bundesregierung nicht im Amt. Aber eine Priorität steht bereits fest: Massive Investitionen in die Verteidigung. Was braucht die Bundeswehr am dringendsten?
„Whatever it takes“, so viel Geld wie nötig, will der voraussichtlich künftige Bundeskanzler Friedrich Merz von der Christlich Demokratischen Union (CDU) in Deutschlands Verteidigung investieren. Die Bundeswehr, der es an vielem fehlt, soll wieder eine kriegstüchtige Armee werden. Dafür haben die konservativen Schwesterparteien CDU/CSU und die Sozialdemokratische Partei (SPD) bereits während der Regierungsbildung ein gigantisches Finanzpaket auf den Weg gebracht und die Schuldenregeln gelockert. Wo ist der Bedarf am größten? Ein Überblick.
Marode Infrastruktur
Die Dienststellen der Bundeswehr befinden sich in rund 1500 Liegenschaften, die über ganz Deutschland verteilt sind. Heute rächt sich, dass lange Zeit wenig in die militärische Infrastruktur investiert wurde. Kasernen und Liegenschaften befänden sich „teilweise in einem desaströsen Zustand“, bemängelt Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Bundestags, in ihrem Jahresbericht für 2024.
Als negatives Beispiel führt sie die Südpfalz-Kaserne in Germersheim an, der sie im Frühjahr vergangenen Jahres einen Besuch abstattete: „Schimmel in Stuben und Sanitärräumen, Wasserschäden sowie von den Wänden abblätternder Putz waren allgegenwärtig.“ Aber nicht nur diese Kaserne muss renoviert werden. Für die gesamte Bundeswehr beläuft sich der Sanierungsbedarf auf geschätzt 67 Milliarden Euro.
Personal gesucht
Fehlendes Personal ist eine der größten Sorgen der Bundeswehr. Derzeit dienen dort etwa 182.000 Soldatinnen und Soldaten. Die Zielmarke des Verteidigungsministeriums liegt bei 203.000. Doch als Freiwilligenarmee tut sich die Bundeswehr schwer damit, neues Personal zu gewinnen und zu halten.
Zwar ist im Jahr 2024 die Zahl der Bewerbungen deutlich gestiegen. Doch jeder vierte Neueinsteiger verlässt die Bundeswehr innerhalb von sechs Monaten wieder. Andere scheiden aus Altersgründen aus. Außerdem fehlen Planstellen. Das betrifft zum Beispiel jene, die eine zeitlich befristete Verpflichtung verlängern oder Berufssoldat oder -soldatin werden wollen. Hier könnte mit zusätzlichem Geld Abhilfe geschaffen werden.
Auch eine Wiedereinführung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht steht aktuell zur Debatte. Das würde erhebliche Kosten verursachen, da die Bundeswehr die Infrastruktur für die Unterbringung und Ausbildung der Wehrpflichtigen inzwischen abgeschmolzen hat.
Veraltete Waffensysteme
Die Ausrüstung der Bundeswehr ist in Teilen veraltet. Seit dem Ende des Kalten Kriegs wurde oft nur das Nötigste beschafft. Material wurde so lange geflickt, bis die Ersatzteile ausgingen.
Das ändert sich wieder, seit der Bundeswehr nach dem russischen Großangriff auf die Ukraine ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt wurde. Damit können die größten Löcher bei der Bewaffnung gestopft werden. Von einer Vollausstattung ist die Bundeswehr aber noch weit entfernt.
Der Fokus liegt nun wieder auf der Landes- und Bündnisverteidigung. Die Luftwaffe bekommt 35 Kampfflugzeuge F-35 des US-Herstellers Lockheed Martin, die die veralteten Tornado-Kampfjets aus den 1980er Jahren ersetzen. Allein das kostet mehr als acht Milliarden Euro. Auch 60 schwere Transporthubschrauber CH-47 von Boeing werden neu angeschafft.
Die Marine erhält weitere Fregatten, U-Boote und den Seefernaufklärer P8 Poseidon. Beim Heer ist für den Sommer die Einführung des modernsten Kampfpanzers der Welt geplant, des Leopard 2A8. Der alte Schützenpanzer Marder wird durch den modernen Puma ersetzt.
Dringender Handlungsbedarf besteht auch bei Luftabwehr – eine Fähigkeit, die die Bundeswehr in der Vergangenheit stark vernachlässigt hatte. Eine Kombination aus mehreren Abfangsystemen, darunter Patriot und IRIS-T, soll Deutschland künftig vor Angriffen aus der Luft schützen.
Manche der jüngst bestellten Waffen sind bereits geliefert worden, auf andere muss die Bundeswehr noch einige Zeit warten. „Bei U-Booten dauert das sieben bis acht Jahre, bei Fregatten sechs Jahre, bei Panzern 2,5 Jahre, bei den Panzerhaubitzen gleichfalls“, betont der amtierende Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Im Verteidigungsministerium geht man davon aus, dass Russland 2029 in der Lage sein wird, NATO-Territorium anzugreifen.
Mangel an Kampfdrohnen
Auch im Bereich Drohnen hat die Bundeswehr Nachholbedarf. Sie betreibt eine Reihe verschiedener Aufklärungsdrohnen, bei bewaffneten Drohnen sieht es hingegen mau aus. Lediglich die fünf Drohnen des Typs Heron TP, die so groß sind wie ein Kleinflugzeug, können bewaffnet werden.
Der Ausstattung mit Kampfdrohnen stand bisher entgegen, dass es bei der Bundeswehr keine verbindlichen Regeln für ihren Einsatz gab. Hinzu kommt: Die Drohnentechnologie entwickelt sich in rasantem Tempo, während die Planungs- und Beschaffungsprozesse bei der Bundeswehr oft mehrere Jahre dauern.
Dem deutschen Militär fehlen außerdem effektive Systeme zur Drohnenabwehr. Da in jüngster Zeit immer wieder Drohnen, mutmaßlich Spionage-Drohnen, über Standorten der Bundeswehr gesichtet wurden, ist die Lösung dieses Problems besonders dringlich.
Zu wenig Munition
Die Bundeswehr hat nur geringe Munitionsvorräte. Nach dem Ende des Kalten Kriegs wurden die Bestände reduziert und Produktionskapazitäten abgebaut. Zudem hat die Bundeswehr einen großen Teil ihrer Bestände an die Ukraine abgegeben, darunter 427.000 Schuss Artilleriemunition vom gängigen Kaliber 155 Millimeter.
Die ukrainische Armee verbraucht immense Mengen an Munition auf dem Schlachtfeld. Daraus hat die Bundeswehr Lehren gezogen und will nun selbst wieder mehr Munition vorhalten. Beim Rüstungskonzern Rheinmetall hat sie Artilleriemunition im Wert von rund 8,5 Milliarden Euro bestellt. Es ist der größte Auftrag in der Geschichte des Unternehmens.
Produziert wird die 155-Millimeter-Munition vor allem im Werk in Unterlüß in Niedersachsen. Dort will Rheinmetall die Produktion auf jährlich 200.000 Geschosse steigern. Wie das Beispiel Munition zeigt, kommt es auf Geld allein nicht an: Die Rüstungsindustrie muss ihre Kapazitäten hochfahren, was nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen ist.
Digitale Transformation
Auch im IT-Bereich hat die Bundeswehr noch Defizite. Das betrifft sowohl die Digitalisierung von Abläufen innerhalb Bundeswehr, in der ausgedruckte Formulare noch an der Tagesordnung sind. Weiter gestärkt werden soll auch der Bereich der Cyberabwehr. 2024 wurde das „Kommando Cyber- und Informationsraum“ (CIR) zu einer vierten Teilstreitkraft aufgewertet – neben Heer, Luftwaffe und Marine.
„Hybride Angriffe auf uns in Deutschland sind Realität, jeden Tag“, mahnt Bundeswehr-Generalinspekteur Carsten Breuer. Dazu gehören auch Cyberangriffe auf die Bundeswehr. Ein Teil der zusätzlichen Milliarden fließt daher in die Digitalisierung, unter anderem in KI-Anwendungen, neue Rechenzentren und eine sichere Satellitenkommunikation.
Große Aufgaben in Litauen
Eines der ehrgeizigsten Projekte von Verteidigungsminister Pistorius ist die Aufstellung einer Bundeswehr-Brigade in Litauen. Bis 2027 sollen knapp 5000 deutsche Soldatinnen und Soldaten dauerhaft nach Litauen verlegt werden, um die Ostflanke der NATO zu verstärken – ein Novum für die Bundeswehr. Die Finanzierung der Brigade stand bisher allerdings auf wackeligen Füßen. Mit zusätzlichen Milliarden könnte dieser Einsatz sowie weitere deutsche Verpflichtungen in der NATO finanziell abgesichert werden.
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