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„Reichsbürger“ und verwandte Demokratiefeinde

Mai 19, 2023 | Studien & Berichte | 0 comments

Das Europäische Zentrum für Terrorismusbekämpfung und Nachrichtdienst, Deutschland und Niederlande 

Im Visier: „Reichsbürger“ und verwandte Demokratiefeinde

Dw – Mitarbeit Hans Pfeifer – Staatsfeindlichkeit bis hin zu Umsturzplänen: Verschwörungsideologen haben seit Corona Konjunktur. Der Verfassungsschutz schaut aktuell besonders auf die „Reichsbürger“.

Reichsbürger-Demonstranten mit der schwarz-weiß-roten Reichsflagge

Wer sind die sogenannten „Reichsbürger“ und mit wem überschneiden sie sich ideologisch?
Ein Überblick.

„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“

Den einen „Reichsbürger“ gibt es nicht, vielmehr handelt es sich um eine heterogene Bewegung, die im Kern die Ablehnung der Bundesrepublik und ihrer demokratischen Grundordnung eint.

Manche beziehen sich dabei auf den Fortbestand des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1871. Die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Verfassung beschreiben viele „Reichsbürger“ als administratives Konstrukt, das noch immer von den westlichen Alliierten regiert wird, die den 2. Weltkrieg gewonnen haben.

Andere wollen sich auf individuelle Art von der Bundesrepublik distanzieren: Sie versuchen sich eigene „Staatsgebiete“ oder gar „Königreiche“ einzurichten, in denen eine eigene Gesetzgebung herrschen soll, die im Konflikt mit der gültigen Verfassung Deutschlands steht. Inklusive eigener Personaldokumente, wie Personalausweis oder Führerschein, die natürlich keine Gültigkeit besitzen.

Eine weiteres Submilieu innerhalb der „Reichsbürger“-Bewegung behauptet, die Bundesrepublik habe ihre staatliche Souveränität verloren, und fantasiert von einem autarken, (weiß-)deutsch dominierten Lebensraum.

2022 rechnete der Bundesverfassungsschutz der Sammelbewegung der „Reichsbürger“ deutschlandweit etwa 23.000 Personen zu, gut fünf Prozent ordnet die Behörde dem rechtsextremistischen Spektrum zu.

Sichergestellte Waffen von „Reichsbürgern“ in Wuppertal im Jahr 2016

Das verbindende Element zum Rechtsextremismus ist vor allem bei der verschwörungsideologischen Strömung innerhalb der „Reichsbürger“-Bewegung zu finden. Hier werden eine ganze Reihe antisemitischer Erklärmuster an den Tag gelegt. Die wohl verbreitetste Verschwörungserzählung ist die des angeblichen „deep state“, also einer Schattenregierung, die im Verborgenen illegitime Machtstrukturen aufbaut. Strippenzieher sind dabei Jüdinnen und Juden, die im Verborgenen angeblich eine Weltverschwörung betreiben sollen.

In der verschwörungsideologischen Ausprägung der „Reichsbürgerbewegung“ ist Antisemitismus bis hin zur Holocaustleugnung ein zentraler Bestandteil. Die Ablehnung des modernen deutschen Staates und seiner Verfassung steht in einer Linie mit dem traditionell organisierten Rechtsextremismus seit 1945. Ein zentrales Ziel ist die Wiederherstellung des Deutschen Reichs sowie seiner Parteien und Organisationen vor 1945.

Der Verfassungsschutz attestiert der Bewegung eine Waffenaffinität, was erhebliche Waffenfunde im Zuge von Exekutivmaßnahmen belegten. Seit 2016 ein der „Reichsbürger“-Bewegung zugehöriger Mann einen Polizisten bei einem Einsatz erschossen hat, versuchen Behörden verstärkt, Angehörige der Szene zu entwaffnen.

Bei einer Großrazzia Anfang Dezember ist die Polizei gegen eine militante Gruppe aus der Reichsbürgerbewegung vorgegangen, die offenbar einen Umsturz in Deutschland plante. Seitdem wird der Umgang mit der Bewegung verstärkt diskutiert. Besonders brisant war dabei, dass unter den Verhafteten ein aktives Mitglied der Bundeswehr-Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte, sowie eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der Alternative für Deutschland sind. Ebenfalls ein geplanter Staatsstreich wird der Gruppe „Vereinte Patrioten“ vorgeworfen, die auch der Szene zuzurechnen ist.

Anfang Dezember 2022 fand eine Großrazzia gegen „Reichsbürger“-Szene statt

Geeint in der Ablehnung: „Reichsbürger“ und „Querdenker“

Ein ähnliches Bild wie bei den „Reichsbürgern“ ergibt sich bei den sogenannten „Querdenkern“. Sie lehnen die staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ebenfalls ab. Auch die „Querdenker“-Bewegung ist heterogen. Sie eint mit Teilen der „Reichsbürger“-Bewegung, dass sie weitestgehend die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik und ihrer Repräsentantinnen ablehnt.

Mit Beginn der Corona-Pandemie schlossen sich „Reichsbürger“ der verschwörungsideologischen Teil der „Querdenken“-Bewegung an. Letztere bediente sich bei bereits bestehenden Verschwörungserzählungen, wie die der angeblichen jüdischen Weltherrschaft oder des „Great Reset“ – der Behauptung, dass angeblich eine „globale Elite“ in Politik und Wirtschaft eine globalisierte Diktatur anstrebe.

Wiederholt wurden Kontakte in die rechtsextreme Szene und den „Reichsbürgern“ bekannt. Umgekehrt versucht die rechtsextremistische Szene Einfluss auf die Protestbewegung zu nehmen, um unter anderem neue Anhänger zu gewinnen. So beteiligen sich Rechtsextremisten immer wieder an Demonstrationen oder rufen zu Protesten auf.

Ende August 2020 versammelten sich etwa 40.000 Menschen an verschiedenen Orten in Berlin, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Im Anschluss durchbrachen rund 400 Menschen eine Polizeiabsperrung und stürmten auf die Treppen des Reichstagsgebäudes, einige schwenkten die schwarz-weiß-rote Reichsflagge. Polizeikräfte verhinderten ein Eindringen in den Bundestag, erst nach mehreren Stunden konnten die Treppen durch die Polizei geräumt werden.

Demonstranten besetzen im August 2020 die Stufen vor dem Bundestag und Proklamieren einen Sturm auf den Reichstag

Seit April 2021 werden bestimmte Personen und Gruppierungen innerhalb der Querdenker-Bewegung vom Verfassungsschutz beobachtet. Nicht zuletzt, weil „eine signifikant stärkere Einflussnahme von rechtsextremistischen Akteuren zu beobachten war“, wie es im letzten Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) hieß.

Sammel-Kategorie für Verfassungsfeinde

Um die Corona-Protest-Bewegung und ihre unterschiedlichen Gruppierungen besser einordnen zu können, hat das BfV 2021 eine neue Kategorie eingerichtet. Ihr sperriger Titel: „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. „Die Akteure dieses Phänomenbereichs zielen (…) darauf ab, wesentliche Verfassungsgrundsätze außer Geltung zu setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen erheblich zu beeinträchtigen“, heißt es im Verfassungsschutzbericht 2021. In diesen Bereich ordnet das BfV sowohl die „Querdenker“, als auch die Sammelbewegung „Reichsbürger” ein.

Neben den „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Bewegungen, listet der Verfassungsschutz 2021 noch andere rechte bis rechtsextreme Akteure auf, die schon länger bestehen und aktuell beobachtet werden. Einige von ihnen sind auf den Zug der Corona-Leugner aufgesprungen und versuchen deren Narrative für sich nutzbar zu machen.

Identitäre Bewegung Deutschland

Die Identitäre Bewegung stammt ursprünglich aus Frankreich und fällt durch eine Kombination aus klassischen rechten Parolen gegen Einwanderung und den Islam mit medienwirksamen Aktionen und hippem Lifestyle auf. Die IB zielt vor allem auf ein junges, gebildetes Bürgertum.

Aktivisten der Identitären Bewegung in München

Mit etwa 500 Mitgliedern in Deutschland ist die Bewegung weiterhin rückläufig. Allerdings erreichen die aufwendig produzierten Videos auf YouTube, Facebook und Twitter ein größeres Publikum. Bekannt wurde die Bewegung durch Störaktionen an Universitäten, vor Parteizentralen im Berliner Regierungsviertel und durch ihre Kampagnen gegen Flüchtlinge. Die Akteure der IB bemühen sich um ein intellektuelles und doch nahbares Auftreten, um ihre rechtsextremen Forderungen an die gesellschaftliche Mitte anschlussfähig zu machen.

Laut Bundesamt für Verfassungsschutz lehnt die Identitäre Bewegung die bestehende Demokratie ab. Eingewanderten Staatsbürgern spricht sie ab, Deutsche werden zu können. Der Inlandsgeheimdienst stuft die IB deswegen als rechtsextrem ein. Zahlreiche Mitglieder sind eng mit der Partei Alternative für Deutschland, AfD, verbunden. Seit Oktober 2022 darf das BfV die IB beobachten.

Institut für Staatspolitik

Ebenso bemüht intellektuell im Auftritt inszeniert sich der neurechte Thinktank Institut für Staatspolitik (IfS). Im IfS und dessen Programm, maßgeblich gestaltet von Gründer Götz Kubitschek, sieht der Bundesverfassungsschutz „Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung.“

Das IfS hält am Konzept des Ethnopluralismus fest: ein rassistisches Weltbild der Neuen Rechten, deren Vertreter eine kulturelle Homogenität von Staaten und Gesellschaften nach „Ethnien“ anstreben. Vom Bundesamt für Verfassungsschutz wird das IfS seit April 2023 als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft, damit kann der Verfassungsschutz nachrichtendienstliche Mittel einsetzen.

Ein Prozent e.V.

Der Verein „Ein Prozent“  wurde 2015 unter dem Namen „Ein Prozent für unser Land“ gegründet. Er warb als „Greenpeace für Deutschland“ um Spenden, um Aktionen gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zu unterstützen. Der Verein versucht, laut Verfassungsschutzbericht vor allem den öffentlichen Diskurs mitzubestimmen. Auf der Agenda steht eine migranten- und muslimfeindliche Ideologie.

In seinen Veröffentlichungen stellt „Ein Prozent“ regelmäßig einen nicht haltbaren kausalen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kriminalität her. Flüchtlingen aus arabischen Ländern wird grundsätzlich abgesprochen, legitime Gründe für ihre Flucht zu haben. Auch „Ein Prozent“ wird als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft.

PI-NEWS

In eine ähnliche Kerbe schlägt der Weblog „Politically Incorrect“, kurz PI-NEWS. Ideologischer Kern ist die Überzeugung von einer angeblichen „Islamisierung“ und „Umvolkung“ Deutschlands. Insbesondere Migrantinnen und Migranten muslimischen Glaubens werden als kriminell, aggressiv, triebgesteuert und gefährlich dargestellt.

Zudem wird auf „PI-NEWS“ Werbung für andere extremistische Organisationen betrieben. Nach eigenen Angaben hat „PI-News“ rund 150.000 Besucher pro Tag. Seit 2021 schaut der Verfassungsschutz auch hier genauer hin.

Maske von Angela Merkel als verurteile Straftäterin bei einem Protest gegen die Corona-Schutzmaßnahmen

COMPACT-Magazin

Die COMPACT-Magazin GmbH veröffentlicht das „COMPACT-Magazin“, organisiert Veranstaltungen und hat ein umfangreiches Onlineangebot. In den meisten Beiträgen wird gegen das politische System Deutschlands im Allgemeinen und gegen die Bundesregierung im Speziellen gewettert.

„COMPACT“ bedient sich zum Beispiel bei Verschwörungstheorien wie dem „Great Reset“, um gegen die Bundesregierung zu agitieren. Die These: Eine globale Finanzelite plane eine neue Weltwirtschaftsordnung und nutze dafür unter anderem die Covid-19 Pandemie. 2021 stufte der Bundesverfassungsschutz die Compact GmbH als „gesichert rechtsextremistisch“ hoch.

Insgesamt sind durch Corona Bewegungen gestärkt worden, die sich über die Ablehnung der Pandemie-Schutzmaßnahmen und der demokratischen Grundordnung definieren. Gleichzeitig haben rechtsextreme Akteure diese Dynamik genutzt, um ihre Ideologie weiter in der Mitte der Gesellschaft zu verbreiten.

Mitarbeit Hans Pfeifer

Das Europäische Zentrum für Terrorismusbekämpfung und Nachrichtdienst, Deutschland und Niederlande 

 

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